Arbeiten Sie auch mit einem multikulturellen Team? Sehen Sie die kulturelle Vielfalt Ihres Teams als Ressource oder als Belastung? Damit der Mehrwert von kultureller Vielfalt im Arbeitskontext genutzt werden kann, bedarf es eines positiven Umgangs damit.

 

Ein Beispiel aus dem Arbeitsalltag

Kathrin L. ist Führungskraft in einem multinationalen Unternehmen in Wien und leitet seit kurzem ein junges Team vielversprechender Spezialisten. Jedes Teammitglied hat unterschiedlichen kulturellen Hintergrund. Die gemeinsame Sprache ist Englisch und sie ist neben dem Arbeitsauftrag das einzige, was alle teilen. Kathrin fiel auf, dass ihr Team von großen Unterschieden in Bezug auf den Arbeitsalltag geprägt ist. Darüber hinaus haben einige bereits internationale Erfahrung, andere kaum. Als sie ein erstes gemeinsames Mittagessen vorschlug, um sich informell auszutauschen, erhielt sie sehr unterschiedliche Reaktionen in Bezug auf Uhrzeit, Länge und das Essen selbst.

John aus London und Hilary aus Amsterdam schlugen vor, Sandwiches und Coffee to go für alle zu holen und das Mittagessen mit einem Meeting zu verbinden. Françoise aus Lyon schlug ein nettes kleines Restaurant in der Nähe vor und bot an, ein Menü für alle zu bestellen und sich etwa zwei Stunden Zeit zu nehmen. Joanna aus Barcelona ließ vernehmen, dass sie über Mittag immer Termine hätte und ab 14.00 disponibel sei. Tesi aus Helsinki und Aarti aus Tallinn waren mit der Idee eines gemeinsamen Mittagessens sehr einverstanden und fanden die Sandwich-Lösung sehr gut. Darius aus Warschau und Milana aus Belgrad schlugen vor, Selbstgekochtes zu Mittag mitzubringen – sie wären erst am Wochenende in ihren Heimatstädten gewesen und hätten allerlei Spezialitäten mitgebracht. Diese Idee gefiel auch Tamanna aus Mumbai, denn sie nahm sich immer Essen von zu Hause für Mittag mit. Lynn aus den USA gab zu verstehen, dass sie sich nicht viel aus einem Mittagessen mache, aber gern an einem informellen Meeting mit allen teilnehmen würde.

Kathrin war erstaunt. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie dachte immer, Mittagessen sei Mittagessen. Sie überlegte weiter: Wenn schon alle für ein Mittagessen unterschiedliche Vorstellungen im Kopf hatten, wie ist es dann mit Themen wie Arbeitsweise, Zeitverständnis, Erwartungen an sie als Führungskraft usw.?

 

Kulturelle Vielfalt richtig managen = die „blinden Flecken“ wahrnehmen

Es gibt zahlreiche so genannte „blinde Flecken“, die die Zusammenarbeit in einem kulturell diversen Team beeinträchtigen können. Damit Kathrin L. und ihr Team wirklich gut zusammenarbeiten, sollten alle über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten Bescheid wissen, die ihren Arbeitsalltag betreffen, um auf dieser Basis gegenseitiges Vertrauen zu entwickeln. Denn Synergien in einem Team entwickeln sich nur, wenn sich alle Beteiligten darum bemühen, sowohl auf einander einzugehen als auch ihre individuellen Stärken einzubringen. Das erfordert interkulturelle Kompetenz: Die Fähigkeit, die Selbstverständlichkeit der vorherrschenden kulturellen Codes und der anderer zu hinterfragen und Lösungen in der Zusammenarbeit zu finden. Im interkulturellen Arbeitsalltag werden leider häufig Defizite betont: mangelnde Sprachkenntnisse oder zu wenig Kulturwissen, wodurch es zu Missverständnissen kommen kann.

Gegenseitige Wertschätzung hilft, damit sich ethnozentrisches Verhalten und Intoleranz im Team nicht breitmachen. Dazu braucht es:

  • Kulturelles Bewusstsein
  • Gute Kommunikationskompetenz
  • Ambiguitätstoleranz: konstruktiver Umgang mit interkulturell herausfordernden Situationen
  • Empathisches Managen sozialer Interaktionen
  • Kulturelle Vielfalt als Ressource annehmen

 

Führungskräfte als Role Model

Interkulturelle Kompetenz beinhaltet komplexe Fähigkeiten auf der Basis von Sozialkompetenz und Selbstorganisation sowie Führungskompetenz. Je mehr internationale und interkulturelle Erfahrungen wir haben, desto eher entwickeln wir interkulturelle Kompetenz. Sie befähigt uns, Interaktionssituationen rasch auf einer kulturellen Ebene zu betrachten, zu analysieren und situationsadäquat zu reagieren. Das ist in einem interkulturellen Arbeitsalltag, der von Hektik und Zeitdruck beherrscht ist, nicht immer leicht. Dennoch sollte vor allem die Führungskraft interkulturell kompetent sein. Denn Mitarbeiter haben nicht nur unterschiedliche kulturelle Hintergründe, sondern greifen auch auf unterschiedliche interkulturelle Erfahrungen zurück. Jene, die gewohnt sind, in einem internationalen Kontext zu arbeiten, repräsentieren weit weniger das typische nationale Stereotyp als andere, die mehr von ihrer nationalen Herkunft geprägt sind, oder zumindest in einigen Aspekten (wie das Beispiel vom Mittagessen zeigte). Damit eine Führungskraft all diese Nuancen wahrnehmen kann, sollte sie über gut entwickelte interkulturelle Kompetenzen verfügen.

 

Über die Autorin

Dr. Karin Schreiner MA hat über zehn Jahre Erfahrungen als interkulturelle Trainerin und Coach. Sie hält für international tätige Unternehmen und Institutionen länderspezifische interkulturelle Trainings sowie Kultursensibilisierungstrainings. Ihre Kernbereiche sind Vorbereitungstrainings für Expatriates sowie Mitarbeiterführung in Ländern wie China, Japan, Indien, Südkorea und europäische Länder. Daneben ist sie Lektorin an Universitäten und Fachhochschulen, vor allem an der FH bfi wien für Expatriate Management und Intercultural Management. Karin Schreiner sammelte ihre Erfahrungen in ihrer über sechzehn jährigen Auslandszeit in Ländern Europas und Asiens, in denen Sie als Consultant an internationalen Schulen tätig war. Seit 2003 wieder in Wien absolvierte die promovierte Philosophin und Sozialanthropologin das postgraduate Masterprogramm „Interkulturelle Kompetenzen“ an der Donau-Universität Krems. Seit 2006 ist sie selbständig, 2007 gründete sie ihr Unternehmen „Intercultural Know How – Training & Consulting. Zahlreiche Weiterbildungen und eine systemische Coaching Ausbildung runden ihre Fachkompetenzen ab. Jüngste Publikation: Kulturelle Vielfalt richtig managen. Die neuen Herausforderungen der globalisierten Arbeitswelt. Fischer&Gann, 2017. Weitere Veröffentlichungen: Ein Paar zwei Kulturen. So gelingt die Liebe in einer globalisierten Welt. Verlag Fischer&Gann 2015. Würde Respekt Ehre. Werte als Schlüssel zum Verständnis anderer Kulturen. Verlag Hans Huber, Bern 2013. Mit der Familie ins Ausland. Ein Wegweiser für Expatriates, Verlag Vandenhoeck&Ruprecht, Göttingen 2009

Karin Schreiner (c) Felicitas Matern