Die Gründerin von workhacks, Lydia Schültken, redet mit uns über ihre Erfahrungen mit Veränderungsprozessen im Unternehmen und wie diese mit ein paar einfachen Techniken nachhaltig verbessert werden.

Überall: Lydia, du stehst klassischen Change- oder Transformationsprozessen kritisch gegenüber. Warum?

Lydia: Ganz einfach: Weil sie meistens scheitern. Wenn ich mit Unternehmern oder Personalmanagern spreche, dann stimmen die meisten zu. Die Change- oder Transformationsprozesse der letzten 20 Jahre schaffen meist kaum Veränderungen. Obwohl sehr viel Geld und Energie in diese Veränderungsprojekte gesteckt wird, schaffen sie meist keine Veränderung. Dabei glaube ich nicht, dass die Menschen grundsätzlich Veränderungen ablehnen, aber sie können sich nicht mit Lösungen identifizieren, welche sie nicht selbst mitentschieden haben. Das würde mir selbst auch so gehen.

Überall: Ja, aber wie soll das auch in großen Unternehmen mit zigtausend Mitarbeitern gehen?

Lydia: Gute Frage. Das habe ich mich auch lange gefragt. Die Herausforderung ist ja, den unterschiedlichen Abteilungen und Teams eigene Veränderungsthemen und ihre eigene Geschwindigkeit zuzugestehen und gleichzeitig nicht völlig den Überblick über die Veränderungen zu verlieren. Alle reden jetzt davon, dass die Veränderung nur noch einen Rahmen braucht – dem stimme ich zu, aber ich höre selten, wie der Rahmen genau aussehen soll. Nicht nur, aber auch deswegen habe ich workhacks entwickelt.

Überall: Und was genau versteht man unter workhacks?

Lydia: Workhacks sind inspirierende Regeln oder Methoden, wie man besser, agiler und kollaborativer zusammenarbeitet. Alle workhacks sind erprobt und leisten einen positiven Beitrag. Die Teams wählen ihre workhacks selbst aus und werden dabei nicht bevormundet.

Überall: Kannst du ein Beispiel nennen?
Lydia: Gern: ein beliebter workhack bei unseren Kunden ist die Fokuszeit. Viele Menschen beklagen, dass sie kaum noch ungestört arbeiten können. Großraumbüros und die Kultur der ständigen Ansprechbarkeit machen es schwer, ein paar klare Gedanken zu fassen, insbesondere, wenn man sich mal mit komplexeren Themen auseinandersetzen will. Studien zeigen auf, dass man ca. 15 Minuten benötigt, um sich in ein schwieriges Thema einzudenken. Ständige Unterbrechungen sind für solche Prozesse natürlich Gift. Deswegen gibt es die Fokuszeit: in dieser Zeit (meist eine Stunde pro Tag) spricht niemand aus dem Team einen anderen Kollegen an und es werden auch keine Meetings abgehalten. Wichtig ist, dass es für jeden die gleiche Zeit ist und dass es immer die gleiche Uhrzeit ist.

Überall: Warum ist das wichtig?

Lydia: Uns geht es um Veränderung von Routinen. Wenn wir über Change oder Transformation sprechen, dann sprechen wir eigentlich über das Loslassen von schlechten Routinen zugunsten besserer Routinen. Um Routinen zu verändern, braucht es Regelmäßigkeit und möglichst wenig Ausnahmen.

Überall: Kannst du weitere Beispiele für workhacks nennen?

Lydia: Sicher! Einen sehr wichtigen workhack habe ich bei SCRUM gefunden: die Retrospektive. Das ist ein sehr sehr guter Team workhack. In der Retrospektive wird alle 2 Wochen die Zusammenarbeit thematisiert und überlegt, wie man besser miteinander arbeiten kann. Das ist ein sehr mächtiger workhack. Einen anderen workhack habe ich beim Design Thinking gefunden: das Timeboxing. Das setze ich als workhack sehr gern in Meetings ein, damit diese effizienter ablaufen. Letztes Beispiel ist der Y-Talk: das ist ein halbtägiges Treffen, bei dem der Sinn des Unternehmens diskutiert wird: Warum gibt es uns und warum bin ich hier? Das sind die entscheidenden Fragen beim Y-Talk. Es geht also bei den workhacks um mehr Effizienz, aber auch mehr Reflexion.

Überall: Und das ist eine Alternative zur unternehmensweiten Transformation?

Lydia: Unbedingt! Wir müssen einfach die Idee loslassen, dass Veränderung von der HR Abteilung durchgeplant wird. Unternehmen sind komplexe soziale Systeme und die Voraussehbarkeit sozialer Systeme ist sehr begrenzt. Wenn wir also in klassischen Veränderungsprojekten sehr viel analysieren und planen, dann ist das aus meiner Sicht verschwendete Energie. Jede Veränderung macht etwas mit dem Team oder der Abteilung – deshalb ist es viel sinnvoller, die Schritte nach und nach zu planen und umzusetzen. Ein vordefinierter Weg ist bei komplexen Systemen immer sinnlos.
Ich habe in dem Sinn viel aus dem agilen Vorgehen der IT’ler gelernt: Dort hat auch die sogenannte Wasserfallmethode nicht recht zum Ziel geführt, also die große Planung und dann die starre Umsetzung. Hier wurde das agile Vorgehen erfunden: Das grobe Ziel kennen und dann in kleinen überschaubaren Schritten als Team auf das Ziel zuarbeiten. Den Kunden immer wieder einbinden und fragen: Hast du dir das in etwas so vorgestellt?
Es wird Zeit, dass wir dieses Vorgehen auf Change Ansätze übertragen. Auch hier sollten wir lernen, agil zu arbeiten: Das grobe Ziel kennen und dann den ersten Schritt gehen. Den zweiten Schritt erst dann entscheiden, wenn der Erste getan ist. Ich plädiere zudem dafür, dass jedes Team / Abteilung seine Schritte selbst entscheidet und es keine verordneten Instrumente gibt.

Über die Autorin

Lydia Schültken ist die “Erfinderin” von workhacks und Betreiberin der Internetseite: www.workhacks.de. Sie arbeitet seit 10 Jahren als selbständige Beraterin, hat viele digitale Unternehmen und Startups beraten und sammelt gelungene Instrumente für den Kulturwandel. Diese findet und erfindet sie mit viel gesundem Menschenverstand – besonders inspiriert durch die Erkenntnisse aus der Verhaltenspsychologie, Neurobiologie, positiven Psychologie, Agilem Management, Design Thinking, Lean Startup und Selbstorganisation. Sie sieht den Schlüssel für echte Veränderung in der Entwicklung neuer, besserer Routinen.

portrait

portrait