Schon seit Jahren sinken die Lehrlingszahlen. Eine Entwicklung, welche Hand in Hand mit einem verstärkenden Fachkräftemangel geht. Zahlreiche Wirtschaftsbereiche klagen über die Schwierigkeit, gut ausgebildete Fachkräfte zu finden. Seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich diese Entwicklung immer weiter verschärft und stellt den Wirtschaftsstandort Österreich vor ein schwerwiegendes Problem.
Warum entscheiden sich heutzutage immer weniger Jugendliche für eine Lehre?
Die Antwort auf diese Frage liegt einerseits begründet in der demografischen Entwicklung der Gesellschaft, doch das ist zweifellos nicht der alleinige Grund. Das unverdienterweise mindere Ansehen der Lehre in der Gesellschaft lässt sich als weitere Ursache identifizieren, insbesondere im Vergleich zur akademischen Ausbildung. Aber es lässt sich hier eine leichte Verbesserung erkennen. Laut der Studie „Zukunft der Arbeit 2.0“, in Auftrag gegeben von Leitbetriebe Austria und zukunft.lehre.österreich., hat die duale Ausbildung unter jungen Leuten mittlerweile wieder an Attraktivität zugenommen. 67 Prozent der Befragten hielten die Lehre für eine erfolgsversprechende Ausbildung, die in Kombination mit Matura sogar für noch hochwertiger beurteilt wurde (79,6 Prozent).
Vorurteile
Die Lehre steht gesamtgesellschaftlich weniger gut da, noch immer existieren eine Vielzahl von Vorurteilen über die duale Ausbildung. „Mit einer Lehre macht man keine Karriere“ oder „nur SchulabbrecherInnen machen eine Lehre“ – Diese Glaubenssätze gilt es dringend zu ändern. Dieser Aufgabe hat sich die gemeinnützige, unabhängige und branchenübergreifende Lehrlingsinitiative zukunft.lehre.österreich. angenommen. Unter anderem möchte sie anhand von Vorbildern, die ihre Karriere mit einer Lehre gestartet haben, zeigen, dass man es mit einer Lehre weit bringen kann.
Der Einfluss auf die Berufswahl
So manche Eltern predigen ihrem Nachwuchs, dass es mit einer Lehre schwer sei, einen guten Job zu finden. Ein meiner Meinung nach nicht ernstzunehmendes Argument, ganz besonders angesichts des Fachkräftemangels. Gut ausgebildete Fachkräfte werden in vielen Wirtschaftsbereichen an allen Ecken und Enden händeringend gesucht. In der Industrie finden bereits rund 20 Prozent aller Unternehmen nicht ausreichend qualifiziertes Personal, im Dienstleistungsbereich sogar etwa 34 Prozent. Es ist nicht daran zu rütteln, dass die Lehre eine gute Ausbildung darstellt. Sie verbindet theoretisches Wissen mit praktischer Umsetzung. Nicht umsonst gilt die Lehre über Europa hinaus als österreichisches Erfolgsmodell. So blicken beispielsweise auch die USA nicht neidlos auf unser System der dualen Ausbildung und haben im April 2022 ein Kooperationsabkommen mit Österreich unterzeichnet, um dieses Modell (angepasst) auch in den USA zu etablieren.
Lehre mit Matura
Eine weitere Studie, die zukunft.lehre.österreich. gemeinsam mit der Industriellenvereinigung in Auftrag gegeben hat, zeigt eine interessante Entwicklung auf. Das Modell „Lehre mit Matura“ kommt ganz besonders bei den Eltern gut an, die zumeist einen großen Einfluss auf die Bildungsentscheidung der Jugendlichen haben. Doch angesichts hoher Abbruchsquoten in diesem Bereich stellt sich die dringende Frage nach einer Verbesserung/Veränderung dieses Modells und wie der Weg in Zukunft gestaltet werden kann und soll.
Mangel an Informationen
Dass sich junge Menschen häufiger für den Weg in eine akademische Ausbildung entscheiden, liegt zweifellos auch daran, dass sie oftmals gar nicht wirklich wissen, welche anderen Möglichkeiten ihnen offenstehen, wie beispielsweise die duale Ausbildung. Und selbst wenn sie diese Möglichkeit vor Augen haben, ist ihnen häufig nicht bekannt, wie viele verschiedene Wege mit über 230 verschiedenen Lehrberufen eine Lehre bietet. Um dies zu ändern, sei ganz besonders an die politischen Verantwortlichen im Bildungsbereich appelliert: Junge Menschen brauchen verpflichtende Berufsorientierung in der Schule und das so früh wie möglich! Und nicht nur das: Auch Schnuppertage in Betrieben, die in Pandemie-Zeiten nahezu vollständig ausgefallen sind, müssen jungen Menschen wieder ermöglicht werden. Denn nur so können sie „echt“ erleben und erproben, ob eine Lehre nicht vielleicht doch genau die richtige Ausbildung für sie ist.
→ Mehr zum Thema Fachkräftemangel erfahren Sie am HR Inside Summit in meinem spannenden Panel.
Über den Autor
Mario Derntl, Geschäftsführer @ z.l.ö. – zukunft.lehre.österreich.
Mario Derntl ist ehemaliger Lehrling und hat anschließend BWL in Wien und Los Angeles studiert. Beruflich war er u.a. für Siemens und Mercedes-Benz USA in Atlanta tätig. Seit November 2019 leitet er die unabhängige Initiative zukunft.lehre.österreich. Derntl ist darüber hinaus Mitglied im Advisory Board der Taskforce Digitale Kompetenzen sowie im Staatspreis für Lehrlingsausbildung des BMDW.
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