Die Medien sind aktuell voll mit Beiträgen zum Thema Digitalisierung und der Frage, wo Österreich diesbezüglich steht. Die Politik versucht durch neue Initiativen – wie etwa die Startup-Initiative der Bundesregierung – einen fruchtbaren Boden für innovative Geschäftsideen und Technolgieentwicklungen zu schaffen. Und selbst an Stammtischen diskutiert man, ob Roboter künftig unsere Jobs übernehmen und ein bedingungsloses Grundeinkommen früher oder später notwendig sein werden.

Diese Omnipräsenz des Themas darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es um das Tempo der Digitalisierung hierzulande besser bestellt sein könnte. Jüngste Untersuchungen zeigen etwa, dass 20% der heimischen Unternehmen noch nicht einmal die Notwendigkeit einer „digitalen Agenda“ für sich sehen. In manchen Branchen scheinen Überlegungen über Chancen und Potenziale der Digitalisierung entweder so gut wie gar nicht zu existieren oder sich auf Effizienzsteigerungsmöglichkeiten zu konzentrieren. Und immer wieder hört man, dass der Mangel an Know-how einer der größten – wenn nicht sogar der größte – Stolperstein in den Digitalisierungsbestrebungen ist.

Die Frage, die vielen diesbezüglich in den Sinn kommt: Was heißt Know-how in diesem Zusammenhang eigentlich? Brauchen wir künftig mehr IT-Fachkräfte? Suchen wir Roboteringenieure? Oder sind gar von uns allen Digitalkompetenzen gefordert? Die klare Antwort auf diese Fragen ist: Ja. Wir brauchen Spezialisten in Feldern, die wir uns heute teilweise noch gar nicht vorstellen können. Wir brauchen Menschen, die die Software entwickeln, damit das Internet of Things mit „Leben“ erfüllt wird. Wir brauchen Data Scientists die uns sagen, welche Produkte bei den Kunden gut ankommen, bevor diese selbst ein Verlangen danach verspüren. Wir brauchen Drohnenpiloten, die dafür sorgen, dass der Luftverkehr auch dann sicher bleibt, wenn Amazon Pakete durch die Luft zustellt. Wir brauchen neue Arbeitskräfte, die etwa die Mähroboter in Stand halten und so programmieren, dass sie nicht auf der A2 Amok laufen. Und ja, die Personalverantwortlichen des Landes tun gut daran, sich rechtzeitig um diese Fachkräfte umzusehen, bzw. diese selbst aufzubauen.

Generell sollten wir uns alle darauf einstellen, dass es kaum noch Berufsfelder geben wird, die gänzlich ohne „Digikontakt“ auskommen werden. Egal ob als Anwalt, wo Roboter Ross die Konzipientenarbeit übernimmt, oder im Handel, wo softwaregestützte Scannerkassen oder digitale Schichtpläne richtig bedient werden wollen – grundsätzliche digitale Kompetenzen benötigt künftig jeder von uns. Und hier sind sicherlich maßgeschneiderte Personalentwicklungsmaßnahmen und auch viel Überzeugungsarbeit seitens der Personalentwickler notwendig, um auch „digikritische“ Arbeitnehmer für die Herausforderungen der Zukunft zu wappnen.

Wir brauchen mehr Phantasie!

Was aber angesichts der ganzen Software- und Technikdiskussionen nicht zu kurz kommen darf, ist die Tatsache, dass wir vor allem auch in der Personalentwicklung künftig noch viel mehr Phantasie brauchen! Die Phantasie, um die Chancen und Potenziale zu entdecken, die für uns alle in der Digitalisierung liegen. Diese resultieren nicht nur aus Technologiefragen und IT-Kompetenzen. Sie resultieren zu einem Großteil aus der Konvergenz, also dem Zusammenführen und dem gemeinsamen Entfalten verschiedener Fachdisziplinen – wobei „Technologie“ wohlgemerkt nur EINE davon ist. Durch das zunehmende Verschwimmen der Grenzen zwischen den Berufsfeldern – und auch der „Landesgrenzen“ in Zeiten globalisierter Märkte – werden die Menschen künftig noch intensiver branchenübergreifend und verstärkt mit Partnern und Mitarbeitern aus anderen Kulturen zusammenarbeiten. Bei der Digitalisierung geht es nicht nur um „ein bisserl Software, die halt jemand entwickeln muss“. Es geht um Kooperationskompetenz, die gewährleistet, dass die Zusammenarbeit reibungsfrei und für alle Seiten gewinnbringend abläuft. Und es geht um die Vermittlungskompetenz zwischen „Technologiepartnern“ und „fachlichen Spezialisten“. Es geht um jene Kommunikationsschnittstellen, die dafür sorgen, dass die Technikerin und der Nanobiologe nicht „lost in translation“ sind, wenn sie gemeinsam an der Produktion und dem Vertrieb personalisierter Medikation arbeiten, die auf Gen-Informationen basiert. Es geht um jene, die technisch kryptisch anmutende Anweisungen so „übersetzen“ können, dass auch weniger technikaffine Mitarbeiter die neuen Werkzeuge effizient einsetzen können.

Diese Vermittlungs- und Kommunikationskompetenz gilt es jetzt sehr breit zu vermitteln – durch gezielte Personalentwicklung und den „wagemutigen“ Blick über den eigenen Branchentellerrand.

 

Über die Autorin

Dr. Valerie Höllinger ist seit März 2011 Geschäftsführerin des BFI Wien. Sie verantwortet neben den kaufmännischen Agenden (Rechnungswesen, Controlling & Kostenrechnung) auch den Bereich Marketing & PR sowie das Privat- und Firmenkundengeschäft. Zuvor war Höllinger, promovierte Juristin und Absolventin zweier berufsbegleitender Masterstudien (Master of Business Law, Executive MBA), in den Branchen Software und IT, der Telekom, der Getränkeindustrie und der Erwachsenenbildung bereits im CEO-Bereich tätig. Seit 2015 ist sie zudem Aufsichtsrat der Wiener Staatsoper.

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