1,5 Millionen österreichische Arbeitnehmer waren während der Krise von März bis Ende November 2020 zumindest für vier Wochen im Homeoffice. Das sind 39 Prozent. Während rund zwei Drittel der Arbeitnehmer mit Home-Office-Erfahrung zumindest ein bis zwei Tage Home Office pro Woche beibehalten wollen, sind die Arbeitgeber hier weniger positiv gestimmt, wie die Home-Office-Studie des Bundesministeriums für Arbeit zeigt.

So finden 69 Prozent der Arbeitgeber mit Home Office, dass sich das Home Office ungünstig auf das Zusammengehörigkeitsgefühl ausgewirkt hat. Auch die Bindung zum Dienstgeber bzw. zu den Beschäftigten sehen 36 bzw. 27 Prozent als ungünstig beeinträchtigt.

Auch wenn das Home Office technisch einen kollektiven Quantensprung für die Arbeitswelt bedeutet hat, hat reines Remote Work also auch die Schattenseiten der Isolation und der physischen Distanz aufgezeigt: die Überforderung, brüchige und instabile Bindungen, eine womöglich schon zuvor ungenügende Unternehmenskultur, die nicht mehr in ein virtuelles Miteinander transferiert werden konnte. Und auch die Grenzen des virtuellen Miteinanders wurden spürbar: die sozialen und emotionalen Bedürfnisse in Unternehmen, bei Führungskräften und in Teams blieben oft auf der Strecke.

 

Das zeigt sich in:

– mentalen und psychischen Problemen von Antriebslosigkeit über Stresssymptomen bis hin zu Depression: so hat die Häufigkeit von depressiven Zuständen in der österreichischen Bevölkerung von 5 % vor der Pandemie auf 25 % zum Jahreswechsel 2020/21 zugenommen (siehe https://www.diepresse.com/5950084/psychische-belastung-in-osterreich-durch-corona-stark-gestiegen).

– inneren bis realen Kündigungen, berufliche Neuorientierung und Mitarbeiterfluktuation

– Brüchigkeit von sozialen Beziehungen innerhalb der Teams, aber vor allem teamübergreifend

– fehlendem Commitment zum Arbeitgeber

Warum emotionales Reboarding zählt

Ähnlich wie nach einem Sabbatical, Bildungs- oder Babykarenz muss auch jetzt in Unternehmen nach langer „Home-Office-only“-Phase ein Reboarding stattfinden, wenn langsam die Mitarbeiter in die Büros zurückkehren.

Schon bisher haben Unternehmen – wenn überhaupt – zumeist auf rationale Mitarbeiterbindung via materieller Anreize und Incentives gesetzt und die interne Kommunikation und die emotionale Beziehungsebene mitunter vernachlässigt. Dabei ist die emotionale, also affektive Mitarbeiterbindung die einflussreichste: sie verhindert Fluktuation und schafft höhere Produktivität.

Für Unternehmen, die schon vor der Pandemie ihre Mitarbeiter nur sehr lose an sich gebunden haben, haben sich in der Pandemie wohl ihre Probleme verschärft. Das zeigt sich in Problembranchen wie dem Pflegebereich und dem Tourismus besonders deutlich: wo allzu lange herausfordernde Arbeitsbedingungen und Unzufriedenheit bei den Belegschaften vorherrschten, bricht die Corona-Krise auch die letzten Bande: die Fluktuation in diversen Unternehmen steigt, Fachkräfte werden noch dringender gesucht.

Wo die affektive Mitarbeiterbindung schon vor der Corona-Krise stark war – mithilfe gemeinsamer Aktivitäten, persönlichem Austausch –  hielt dieses festes Band auch in Krisenzeiten und in der Distanz Stand. Der Begriff des „Rebonding“ stammt aus der Bindungsforschung. Ist die nachgeburtliche Bindung zwischen Mutter und Neugeborenem gestört, kann von Hebammen angeleitetes Rebonding stattfinden: hier wird in einem dunklen, warmen Raum das Neugeborene intensiv von den Eltern bekuschelt, damit das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet wird, das eine intensive Verbundenheit ermöglicht und die Bindung stärkt.

Hacks für Rebonding im Büro:

+ Point Zero: Kommunizieren, dass die alte Arbeitswelt vor Corona nicht mehr bestehen wird und man gemeinsam eine neue Welt baut – die auf die Mitarbeiterbedürfnisse stärker eingeht. Idealerweise holt man die Mitarbeiter mit Befragungen – begleitet mit persönlichen Gesprächen – ab: Wie haben sie die vergangenen 18 Monate ganz persönlich erlebt? Was wünschen sie sich für die Zukunft? Was soll anders, besser werden, was soll bleiben – hinsichtlich Home Office, Ausstattung, Zusammenarbeit und Kultur?

+ Purpose Circles/Start with your Inner Why: die Mitarbeiter emotional mit dem Unternehmen verknüpfen – das geht am besten über die Frage nach dem Sinn, nach dem „Wofür“. Den Mitarbeitern Raum zu geben, sich mit ihrem individuellen Why zu beschäftigen, sorgt für Vertrauen. Gemeinsam über den Sinn des Unternehmens, die Gründerstory zu diskutieren und einen gemeinsamen Nenner über das Wofür des Unternehmens zu finden, sorgt für emotionale Verbundenheit mit dem Unternehmen.

+ Hybrid Buddies: Hybrides Arbeiten und Home Office können auch weiterhin eine Herausforderung sein. Gerade für neue Mitarbeiter, die vielleicht noch nie real ihre Kollegen gesehen haben, macht ein Buddysystem Sinn. Jemanden zum persönlichen Austausch und für die kleinen Problemchen des Joballtags zu haben, beruhigt die Nerven.

+ Culture Standups: Reflexion hilft immer: nicht nur über die eigenen Arbeitsweisen, sondern auch über die Unternehmenskultur und die aktuelle Stimmung im Team.

+ Experimente: Gemeinsames Lernen und Ausprobieren verbindet und ist für zukunftsfähige Unternehmen essentiell. kreative Workhacks, digitale Tools und Apps für eine hybride Unternehmenskultur lassen sich auch im Team ausprobieren.

+ Communication Hacks: Shitty & glory days:  Recap über die vergangenen 18 Monate in Peer Groups machen.

+ Talkrunden mit Experten: Neue Konzepte zu Kommunikation und Collaboration bekommen frischen Wind durch externe Experten.

+ gemeinsame Pausenkultur: Zeit für das Rebonding im Alltag ermöglichen: sei es der Kaffeetratsch oder das gemeinsame Frühstück in der Kleingruppe. Und: das geht auch hybrid mit dem zugeschalteten Kollegen am Tisch. Spielerische Apps wie CoffeeCall bringen Spaß in informelle Pausen im Home Office.

 

Wir benötigen bei der Rückkehr in die Büros und in die hybride Zusammenarbeit also nicht nur administrative und technische Maßnahmen – im Sinne von Einarbeitungsphasen, hybrider Meeting-Technik und entsprechenden Regelungen, sondern vor allem auch ein emotionales und soziales Rebonding, das die Zugehörigkeit, das Sinnerleben und die interpersonelle wie emotionale Verbundenheit in der Organisation stärkt. Das wird darüber entscheiden, ob sich Mitarbeiter künftig als Teil des Unternehmens fühlen – oder ihr Glück woanders versuchen. Es ist nie zu spät für eine gute emotionale Mitarbeiterbindung – und genau jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um die Unternehmenskultur zu verbessern und die emotionale Bindung zu den Mitarbeitern zu vertiefen.

Über die Autorin:

Nicole Thurn ist langjährige Karriere-Journalistin (u.a. fast zehn Jahre für die Tageszeitung KURIER) und Gründerin des Online-Portals Newworkstories.com. Die studierte Diplom-Pädagogin bietet Impulse, Workshops und Webinare zur menschzentrierten neuen Arbeitswelt an.