Der Arbeitsdruck hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Die belastende Gesamtsituation und Ungewissheit während der Pandemie, die derzeit unberechenbare Wirtschaftslage auch durch die Energiekrise und den Ukrainekrieg, die Jobunsicherheit, die steigende Arbeitslast wegen Personalmangels, die vielen Umstellungen in den Arbeitsprozessen: all das zerrt an den Nerven vieler Mitarbeitender und Führungskräfte.
Die Österreichische Vereinigung für Supervision und Coaching schlägt seit April mit der „Viertel vor Burnout“-Kampagne gegen Burnout Alarm. Laut der Weltgesundheitsorganisation ist die Zahl der Menschen mit Depressionen und Angstzuständen weltweit im ersten Pandemiejahr um 25 Prozent gestiegen.
Unternehmen sollten es daher gerade jetzt als oberste Priorität für ihr weiteres Bestehen sehen, die psychische und mentale Gesundheit ihrer Belegschaft wieder in den Fokus zu rücken. Nur so können sie Fluktuation und Krankenstandsausfälle reduzieren – und nur so können sie als Unternehmen resilient bleiben und den mittlerweile mehrfachen Krisen trotzen.
Stabil und stressresistent
Resilienz bedeutet, widerstandsfähig und standhaft zu bleiben – bildlich gesprochen bleiben wir stabil, in unserer Kraft und in unsere Mitte zentriert, auch wenn im Außen der Wirbelwind über uns hinwegfegt. Ein resilientes Unternehmen ist auch in Krisenzeiten stabil, sorgt für die nötigen Veränderungen – und hat dabei resiliente Mitarbeitende, die leistungsfähig, gesund und motiviert sind.
Abgesehen von strukturellen Maßnahmen, die Druck und Zeitfresser aus den Prozessen nehmen und den Mitarbeitenden Verschnaufpausen gewähren, kann auch jeder und jede selbst viel zum eigenen Wohlbefinden und zur persönlichen Resilienz beitragen. Hier setzt Coaching schon präventiv an: Es macht die Klient:innen mit bewährten Tools und Methoden im Umgang mit Stress vertraut, begleitet sie durch Krisenzeiten und belastende Arbeits- und Lebensphasen und aktiviert ihre Stärken und Ressourcen.
Wilmar Schaufeli, Professor für Organisationspsychologie an der Universität Utrecht, beschreibt die psychologischen Fähigkeiten von Mitarbeitenden als essentiell für den Unternehmenserfolg in Zeiten des steigenden Markt- und Veränderungsdrucks. Um die Organisation zu verändern, benötige man Adaptionsfähigkeiten, um Vielfalt zu ermöglichen, die Fähigkeit andere Perspektiven zu verstehen und einzunehmen, Teamarbeit benötigt Durchsetzungsvermögen, und mentale und emotionale Anforderungen benötigten Resilienz.
Das bekannte PERMA-Modell von Martin Seligman, dem Begründer der Positiven Psychologie, zahlt dabei auf die Ziele von stärkendem und ressourcenorientiertem Coaching ein. Es umfasst folgende fünf Elemente des Wohlbefindens:
Positive Emotionen:
Dazu gehören laut Martin Seligman und seiner Kollegin Barbara Fredrickson Freude, Hoffnung, Interesse, Stolz, Dankbarkeit, Optimismus, Staunen, Liebe, Mitgefühl und Inspiration. All diese Emotionen führen dazu, dass Menschen ihr psychisches und körperliches Wohlbefinden entwickeln und fördern. Dadurch ist Lernen leichter möglich, der Stresslevel ist reduzierter und soziale Beziehungen können leichter geknüpft werden.
Engagement:
Wilmar Schaufeli beschreibt den Zustand des Engagement als “positive, fulfilling, work related state of mind that is characterized by vigor, dedication, and absorption” – also ein arbeitsbezogener mentaler Zustand voller Kraft, Hingabe und Aufnahmebereitschaft. Die Bereitschaft, sich im Job einzusetzen, steigt, wenn die Mitarbeitenden sich im Flow befinden, wie auch die Flowforschung rund um Mihály Csikszentmihalyi feststellt. Flow entsteht demzufolge, wenn die Anforderungen den Stärken und Interessen des Arbeitenden entsprechen. Der Coach hilft dabei, herauszufinden, wo die Stärken des Coachee tatsächlich liegen und wie er sie besser einsetzen kann, um in den Flowzustand zu gelangen.
Relationships (Beziehungen):
Konflikte am Arbeitsplatz und der destruktive Umgang damit sorgen für viel Stress, Groll und belastete Beziehungen – das wiederum wirkt sich auf die Mitarbeiterzufriedenheit, die Motivation und das Engagement aus, und damit auch auf die Produktivität. Gute, vertrauensvolle Beziehungen mit Kolleg:innen, Vorgesetzten, Mitarbeitenden zu haben, sorgt für offenere Kommunikation, weniger Stressmomente im Job und fördert die psychische Gesundheit aller Beteiligten. Mit Coaching können Potenziale für Beziehungen entdeckt werden, neue Sichtweisen auf das Gegenüber eingenommen werden und neue Kommunikationsstile ausprobiert werden.
Meaning (Sinn):
Auch das Sinnerleben spielt eine große Rolle für die psychische Gesundheit und die Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Laut Sinnforschung finden wir Sinn nicht nur in den Aufgaben und in der Arbeit selbst, sondern auch in den Beziehungen. Coaching hilft dabei, den Sinn in den alltäglichen Tätigkeiten und in den Beziehungen freizulegen und zeigt neue Wege auf, um den eigenen Job sinnvoller zu gestalten.
Accomplishments (Errungenschaften):
Ziele zu erreichen, ist befriedigend, führt zum Erleben von Selbstwirksamkeit und stärkt das Selbstvertrauen. Coaching kann hier helfen, passende Ziele – auch für das Coaching selbst – zu stecken und zu erreichen, indem Blockaden und Hindernisse enttarnt und aus dem Weg geräumt werden. Laut Untersuchungen wirken sich schon kleine Schritte in Richtung Ziel positiv auf das Wohlbefinden aus – egal ob das Ziel tatsächlich erreicht wird3. Coaching hilft auch dabei, den Blick auf die Errungenschaften der Vergangenheit zu schärfen: auf das, was man bereits alles geschafft und geleistet hat. Auch das stärkt das positive Selbstbild.
Sich mit Coaching zu stärken, sollte nicht nur in der Verantwortung jedes und jeder Einzelnen liegen. Für Unternehmen ist Coaching auf breiter betrieblicher Ebene sinnvoll und in ihrer Verantwortung als Arbeitgeber ein wirksamer Hebel, um die psychische Gesundheit und Resilienz der Mitarbeitenden zu erhalten und vor allem präventiv zu stärken. Der Return on Investment kommt um ein Vielfaches zurück.
Über die Autorin
Nicole Thurn ist langjährige Karriere-Journalistin, Expertin für Neues Arbeiten und Gründerin von Newworkstories.com – das Blogzine für die neue Arbeitswelt. Neben dem Schreiben leitet sie Reflexions- und Purpose-Workshops, gibt Interview- und Podcasttrainings für New-Work-Pioniere und moderiert Talks zu New Work.
Quellen
- 1Seligman, M. E. P., Steen, T. A., Park, N., & Peterson, C. (2005). Positive Psychology Progress: Empirical Validation of Interventions. American Psychologist, 60(5), 410–421. https://doi.org/10.1037/0003-066X.60.5.410
- 2Schaufeli, W.B. (2013). What is engagement? In C. Truss, K. Alfes, R. Delbridge, A. Shantz, & E. Soane (Eds.), Employee Engagement in Theory and Practice. London: Routledge.
- 3 Lyubomirsky, S. (2008). The how of happiness: A scientific approach to getting the life you want. Penguin Press.
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