Neuro-was?

Das Wort „Neuro“ deutet immer an, dass es um das Gehirn geht. Und auch Gehirne unterscheiden sich voneinander – ebenso sehr, wie sich Gesichter unterscheiden. Dabei kommt es weniger auf die Form oder Größe an, als auf die Art und Weise, wie einzelne Gehirnzellen miteinander interagieren und Reize verarbeiten. Manchmal weicht die Funktionsweise eben weit genug vom Durchschnitt ab, dass dies augenfällig wird. Ein typisches Beispiel für dieses Phänomen ist die Autismus-Spektrum-Störung. Lassen Sie sich jetzt bloß nicht von dem Wort „Störung“ ins Bockshorn jagen. In der Psychologie oder Neurologie wird eine Abweichung von der Norm rasch als „Störung“ bezeichnet. Im englischen Sprachraum wird mittlerweile stattdessen der Begriff „condition“ verwendet – also eher „Zustand“ oder „Verfassung“ – was durchaus zutreffender sein mag. Der „Durchschnitt“ oder „Normalbereich“ hat übrigens die Bezeichnung „neurotypisch“ bekommen.

 

Was hat das mit Unternehmen zu tun?

Ziemlich viel. Autismus mag eine extreme Ausprägung sein, allerdings sind die Übergänge zum Normalbereich fließend. So gut wie jeder kann autistische Züge aufweisen. Gerade in den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften, Technik, IT oder Medizin finden sich Menschen, die teils sehr nahe am sogenannten autistischen Spektrum sind. Und das ist durchaus gut so.

 

Warum soll das gut sein?                                                                                                           

Kennen Sie einen einzigen Gewichtheber, der zugleich ein großartiger Skispringer ist? Nein, denn die beiden Sportarten erfordern einander ausschließende Spezialisierungen. Ähnlich ist es mit Denkweisen: Wenn es um Daten, Fakten und Muster geht, kann der Autismus ein Vorteil sein. Wenn es hingegen um Einfühlungsvermögen geht, braucht es andere Strategien. Je vielfältiger die Aufgaben in einem Betrieb sind, desto unterschiedlicher sind wohl auch die Profile der Mitarbeiter*innen. Je besser die einzelnen Stärken zu den individuell zugeteilten Aufgaben passen, desto besser läuft es für alle. Es geht also um die perfekte Besetzung. Ein besseres Verständnis von Neurodiversität fördert diesen stärkenorientierten Ansatz.

Was kann die Neurodiversität sonst noch?

Viele verschiedene Herangehensweisen bringen zumeist mehr interessante Ideen hervor als nur eine kleine, homogene Gruppe. Das menschliche Gehirn versucht stets, so effizient wie möglich zu arbeiten. Das bedeutet, es folgt nach Möglichkeit festen Pfaden, eingeübten Verhaltensweisen oder Tätigkeiten, die wir „im Schlaf“ beherrschen – also „Trampelpfaden“, auf denen nicht leicht etwas Neues entsteht. Außer man wird herausgefordert – und das können jene, die eine andere Sichtweise einbringen, besonders gut. Bildlich gesprochen entsteht überall dort eine Chance neue Ideen zu generieren, wo sich unterschiedliche Pfade kreuzen. Demnach ist Vielfalt ein Wegbereiter für Veränderung und (Weiter-)Entwicklung. Und sie stärkt die Anpassungsfähigkeit von Organisationen. In einer zunehmend dynamischen Welt, in der wir heute nicht die Fragen von morgen kennen, kann dies durchaus von Vorteil sein.

Was dies für Recruiter oder Personalentwickler bedeutet oder bedeuten kann, wird Dr. Johannes Klietmann am HR Summit 2019 in seiner Session näher beschreiben – come & join!

 

Über den Autor

Johannes Klietmann hat in Wien 2013 das Studium der Biologie, Fachbereich Paläobiologie, mit Doktorat abgeschlossen. Danach war er in einem Unternehmen für chemische Analysen im Außendienst tätig. 2016 wurde Autismus diagnostiziert, woraufhin er sich an Specialisterne wandte. Für seine Tätigkeit hat er sich mit den Themenbereichen Autismus, Innovationsmanagement und neurobiologischen Aspekten der Arbeitswelt beschäftigt.